Tankstelle der Zukunft

Googelt man den Ausdruck „Tankstelle der Zukunft“, erscheint zusätzlich zu den Suchergebnissen die Liste „Ähnliche Fragen“. Darunter: Wie lange wird es noch Tankstellen geben? Was so banal klingt, ist letztendlich die alles entscheidende Frage für die Mineralölbranche. Denn dass das Geschäftsmodell der vergangenen Jahrzehnte angesichts des drohenden Verbrennerverbots in der Form nicht mehr ewig funktionieren wird, ist klar. Die Tankstelle muss sich also neu erfinden.

Mögliche Zukunftsszenarien für die Tankstelle der Zukunft hat Aral gemeinsam mit dem Institut für Verkehrsforschung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) in einer Studie ermittelt und 2020 vorgestellt. Miteingeflossen sind Faktoren wie die Bevölkerungsstruktur, die Entwicklung der Antriebsformen und des Fahrzeugbestands, die Fahrleistung von Pkw und Lkw und die Infrastruktur. Herausgekommen ist eine Vision der Tankstelle im Jahr 2040, die nach vier unterschiedlichen Raumtypen unterteilt ist:

Großstadt – serviceorientiertes Mobilitätszentrum: Im dichten Großstadtverkehr bündelt die Tankstelle viele Angebote neuer Mobilitätstrends wie E-Bikes oder autonome Sharing- und Pooling-Fahrzeuge. In diesem Raumtyp rechnet Aral sogar mit der Existenz von Lufttaxis, die an der Tankstelle während ihrer Standzeit geladen beziehungsweise gewartet werden können. Für Wartende hält das Bistro frische, verzehrfertige Speisen und Getränke bereit. Eine mehrgeschossige Bauweise ermöglicht zusätzliche Angebote wie etwa Konferenzräume für Geschäftsmeetings.

Städtisch geprägter Kreis – Umsteigeplatz mit Rundumversorgung: In diesem Raumtyp wird die Tankstelle zum Drehkreuz zwischen den umliegenden Gebieten einer Großstadt und dem Zentrum, an dem die Pendler von privaten auf kollektive Verkehrsmittel wie autonome Pooling-Fahrzeuge umsteigen. Betreiber autonomer Flotten finden an der Station einen umfassenden Service: von der Wäsche über ultraschnelles Laden bis hin zu kleineren Wartungsarbeiten. Private Autofahrer können ihr Fahrzeug waschen, sich im Shop mit Frische- und Convenience-Produkten versorgen, Wartezeiten im Bistro überbrücken oder die Packstation nutzen.

Ländlicher Kreis – Umschlagplatz mit Nahversorgung: Im ländlichen Raum bleibt das eigene Auto zentral für die Mobilität, zumal die zu fahrenden Strecken aufgrund einer sich ausdünnenden Infrastruktur immer länger werden. Tankstellen können als sozialer Treffpunkt mit einem größeren Shopangebot und Paketdienstleistungen den ländlichen Raum bereichern. Neu ist ein kombinierter Personen-Güterverkehr: Handwerker oder Pflegedienste nehmen von der Paketstation an der Tankstelle Lieferungen für ihre Kunden oder Patienten mit und entlasten damit Paketdienstleister von Fahrten in entlegene Gebiete.

Autobahn-Station – Services für Güter- und Fernverkehr: Laut den Studienmachern wird der Güterverkehr bis 2040 weiter wachsen und auf vordefinierten Autobahnrouten automatisiert. An autobahnnahen Tankstellen erfolgt der Wechsel von autonomen auf fahrergeführte Lkw für den Stadtverkehr. Die Station bietet zudem ultraschnelle Lademöglichkeiten für elektrische Nutzfahrzeuge bis 3,5 Tonnen und Fernreisende. Erweiterte Gastronomieangebote und funktionelle Übernachtungsmöglichkeiten für Lkw-Fahrer sind weitere Angebote für den Nutzfahrzeugverkehr. 

Vier relevante Transformationspfade

Auch das 1998 gegründete Zukunftsinstitut beschäftigt sich im Mobility Report 2022 von Dr. Stefan Carsten mit der Frage, wie die Tankstelle der Zukunft aussieht. „Die Optionen bewegen sich zwischen den Dimensionen Energiesystem und Mobilitätssystem: fossile und postfossile Träger (inklusive Batterien und Wasserstoff) auf der einen Seite – fahrzeugbasierte Konzepte und Mobilitätsdienste auf der anderen“, schreibt dazu der Experte für die Zukunft der Mobilität. Wie Aral hat Dr. Carsten vier Szenarien entwickelt:

Tankstelle 2.0: Im ersten Szenario wird die Tankstelle zum „erweiterten Straßenraum, in dem sich Vergangenheit und Zukunft – Verbrenner und innovative Antriebstechnologien – treffen“. Die Stationen sind vor allem am Stadtrand und im ländlichen Raum zu finden und bieten für die Verlängerung der Reichweite vereinzelt Ladestationen für Elektroautos an. Auch wenn es sich hierbei im Idealfall um Schnelllader handelt, wird es sich laut Dr. Carsten aufgrund der hohen Investitionskosten in der Regel um Normallader handeln. Die Tankstelle 2.0 wird noch lange gebraucht, um den Übergang zur vollständigen Elektrifizierung zu überbrücken.

Ladepark: In diesem Szenario spielen neben der Ladeinfrastruktur vor allem Wasserstofftankstellen eine Rolle. Da der Umbau teuer ist, werden wohl nur die großen Mineralölkonzerne und Ladeanbieter diesem Szenario folgen. „Die Ladeparks der Antriebswende werden vor allem für gewerbliche Akteure sehr wichtig, da hier die technischen Bedingungen und Kapazitäten für schnelles Laden und Betanken mit Wasserstoff vorhanden sein werden“, schreibt Dr. Carsten. Als Standorte macht er Einkaufszentren und Freizeiteinrichtungen an den Rändern der Städte aus. Ladeparks in peripheren Lagen sollen die Reichweitenängste zerstreuen. Tankstellen entlang der Autobahnen und Fernstraßen versorgen den Schwerlastverkehr, dessen nachhaltige Zukunft auf grünem Wasserstoff basiert.

Kiosk: An den Kiosk-Tankstellen in den Innenstädten kann zwar weiterhin getankt werden, aber vor allen Dingen sieht Dr. Carsten in ihnen einen „lokalen Gemischtwarenhandel für Energie, Post und Soziales“. Diese Stationen können viele Funktionen übernehmen: Trinkhalle, Späti, Bistro oder Drive-in sowie Zwischen- und Abhollager für Pakete aller Art. Zudem können sie mit Waschanlage oder Bankomat ausgestattet sein. Kiosk-Tankstellen übernehmen also eine soziale Funktion im Stadtteil, sie sind „Kulturräume, die die Stadt atmen lassen“.

Mobility Hub: In diesem Szenario wandeln sich Tankstellen zu Mobilitätszentren mit hoher Kundenfrequenz und verschiedenen Mobilitätsangeboten, die durch ihre attraktive Lage punkten. Diese Knotenpunkte haben laut Dr. Carsten „das Potenzial, die Elektrifizierung der städtischen Mobilität voranzutreiben – und gleichzeitig die Überlastung auf der letzten Meile zu verringern, die durch den Transport von Waren und Menschen verursacht wird.“ Ladeinfrastrukturen gibt es allerdings nur für Sharing-Fahrzeuge, das private Laden findet im öffentlichen Raum oder zu Hause statt. Die Standorte bieten neben einem gastronomischen Angebot beispielsweise Möglichkeiten zum Tauschen von Batterien, Zugang zu Sharing-, Miet- und Abo-Modellen, im besten Fall kombiniert mit ÖPNV- und/oder Fernreiseoptionen. 

Am Ende dieses Textes wollen wir Ihnen natürlich nicht die Antwort vorenthalten, die Google auf die alles entscheidende Eingangsfrage ausspielt: „Auch 2030 werden Tankstellen noch Benzin verkaufen, aber deutlich weniger als heute. Mit der Zunahme der Elektroautos und dem Ausbau der Lademöglichkeiten werden Tankstellen nach und nach obsolet. Richtig spannend wird es dann 2050.“

(Autorin: Annika Beyer; Der Artikel erschien in den bft-Nachrichten 6/2021.)

 

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