Ziegers Zeilen (KW 48)
Kennen Sie Äsop? Lateinschüler und ehemalige Lateinschüler ganz sicher. Aber auch im Deutsch-Lesebuch der jüngeren Jahrgänge stieß man auf Äsop. Äsop war ein antiker griechischer Dichter von Fabeln und Gleichnissen, der wahrscheinlich im 6. Jahrhundert v. Chr. lebte. Das sagt Wikipedia über diesen berühmten Mann. Von ihm stammen Fabeln und Redewendungen wie die Höhle des Löwen und der Fuchs mit den Trauben. Bei ersterer steckt die Geschichte des alten Löwenkönigs dahinter, der die Tierwelt einlädt, von ihm Abschied zu nehmen und sie einzeln zu sich in seine Höhle bittet. Der Fuchs, der erkennt, dass in die Höhle nur Spuren hinein, aber nicht mehr herausführen, verabschiedet sich auf listige Weise.
Das zur Höhle des Löwen. Kommen wir aber zum Fuchs mit den Trauben zurück. Dieser Fuchs war nicht so listig wie der Fuchs beim alten Löwen. Hungrig und verbittert nimmt er von seinem Vorhaben, seinen Hunger mit den Trauben zu stillen, Abstand, da diese vermutlich noch nicht reif, in jedem Falle aber zu sauer seien. Mehrere scheinbar unbeobachtete Anläufe hat er vorher unternommen, um wenigstens die eine oder andere Traube zu erhaschen.
An diese Geschichte erinnert fühlt man sich unwillkürlich bei einer Meldung aus dem Tagesspiegel vom Dienstag. Dort wird vom Autogipfel berichtet. Und dort fordern Politiker, wie der niedersächsische Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD), sowie nicht mit Namen genannte Manager der Automobilherstellern nicht den Eindruck zu erwecken, E-Fuels seien die Lösung. Diesen Eindruck zu erwecken, „verunsichere Industrie und Verbraucher:innen“. Der Tagesspiegel schrieb, dies sei eine deutliche Kritik an Verkehrsminister Volker Wissing (FDP).
So eine Äußerung ist erstaunlich und zeugt nicht von großem Selbstbewusstsein. Selbstbewusstsein benötigt aber, wer noch 14 Millionen Autos, oder jedenfalls einen Teil davon liefern soll. Denn, das wissen wir, 2030 sollen mindestens 15 Millionen Stromer auf Deutschlands Straßen unterwegs sein. Marketingstrategie, überzeugende Autos und auch erschwingliche Autos für den Massenmarkt muss man allerdings haben. Es gibt Hersteller, die haben das. Aber beim Autogipfel war wohl niemand von denen dabei. Das macht nachdenklich. Und zeigt auch, wer der „Schuldige“ dafür ist: die E-Fuels. Die sind schuld am Misserfolg. Wie bei dem Fuchs und den Trauben. Zu hoch und zu sauer die Trauben.
Aber ganz ernsthaft. Der Verbraucher muss ernster genommen werden. Und die Industrie spielt hier nicht mit offenen Karten. Wer in das von ihm ausgerufene Zeitalter der Elektromobilität mit Angeboten für Besserverdienende startet, der hat vergessen, was ihn groß gemacht hat. Autos, die überzeugen und bezahlbar sind. Früher war ja sogar Markentreue ein Verkaufsargument. Heute will man „all-electric“, aber bitte möglichst gefördert und begleitet. Ohne Zwischentöne.
Wir finden, das geht so nicht. Wir finden ohnehin, dass der Verzicht auf Technologieoffenheit ein Fehler ist. Das finden nicht nur wir, sondern Wettbewerber, die nicht beim Automobilgipfel dabei waren. Zum Beispiel Stellantis. Aber das war letzte Woche.
„Don't mention the war.” Damit scheiterte John Cleese, der berühmte englische Schauspieler und Mitglied der Komikertruppe „Monty Pythons“, als Hotelier Basil Fawlty in Folge sechs der ersten Staffel von „Fawlty Towers“. „Don't mention the e-fuels“ müsste man nach dem Autogipfel sagen.
Ihr Stephan Zieger