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Ziegers Zeilen (KW 27)

Warum man auch mit hellgrün leben kann, weniger auch mehr sein kann und am Ende alles auch eine Zeitfrage ist

95 % nachhaltig reichen aus: Warum „hellgrüner“ Wasserstoff besser ist. Das konnte man in dieser Woche in der Online-Ausgabe der Zeitung „Der Ingenieur“ lesen. Worum es da geht? In dem Beitrag ist zu lesen, dass Forscher berechnet haben, dass „fast nachhaltig“ besser ist als mit aller Macht die 100-Prozent-Marke anzupeilen. Die Forschenden sind u. a. Professor Sansavini, Professor an der ETH in Zürich und sein Doktorand, Stefano Mingolla, der auch Hauptautor dieser Studie ist.

Nachgewiesen haben sie ihre These am Beispiel der Produktion von Ammoniak. Jährlich werden weltweit 180 Millionen Tonnen Ammoniak produziert, hauptsächlich für die Düngemittelindustrie. Und der Hauptproduktionspfad ist Erdgas. Ammoniak ist ein Zwischenprodukt auf dem Weg zu vielen weiteren Produkten.

Wasserstoff ist der Champagner der Energiewende. Und er kann nicht grün genug sein. Man braucht ihn überall. Im Verkehr. In der Stahlindustrie. Beim Zement und beim Aluminium. Und eben auch bei der Produktion von Ammoniak. Es gibt noch viele weitere Möglichkeiten. Wasserstoff ist der Grundstoff der Energiewende. Es gibt auch den Wasserstoff der mit Atomenergie erzeugt wird. Das ist sogenannter violetter/ pinker oder auch roter Wasserstoff. Wen die Farbenlehre des Wasserstoffs interessiert, der darf das hier nachlesen. Aber zurück zur Ausgangsfrage. Wie grün muss Wasserstoff sein, damit er einen Beitrag zur Energiewende leisten kann.

Dass unterschiedliche Energieformen bei der Wasserstoffproduktion eingesetzt werden können, ist bekannt. Deswegen lag es nahe, dass man deshalb einmal darüber nachdenkt, ob bei Dunkelflaute oder ähnlichem unbedingt die Produktion von Wasserstoff eingestellt werden müsste, weil man wiederum unbedingt nur grünen Wasserstoff haben will. Wie zum Beispiel bei der Produktion von Ammoniak.

In Zeiten ohne ausreichend Sonnen- oder Windenergie kann Strom aus dem Netz bezogen werden, der teilweise aus fossilen Quellen stammt. Diese Flexibilität reduziert die Gesamtkosten der Wasserstoffproduktion. Und hält die Kosten niedrig.

Im ersten Schritt machen die Forscher einen Vergleich der Gesamtkosten. Zitat: „Die Berechnungen zeigen, dass die Treibhausgasemissionen der Ammoniakproduktion um 95 % gesenkt werden könnten, wenn der Wasserstoff nicht mehr als ein Kilogramm CO2 pro Kilogramm Wasserstoff freisetzt.“ Das tut er aber nicht. Wieder ein Zitat aus dem Bericht: Zum Vergleich: Ein Kg Wasserstoff, das mit dem Schweizer Strommix hergestellt wird, verursacht 1,7 Kg CO2. Mit dem heutigen deutschen Strommix sind es 18 Kg CO2, mit dem niederländischen Strommix 16 Kg und mit dem polnischen Strommix 33 Kg. Also muss investiert werden. Oder alternativ ausgelagert.

Und dann kommt ein bemerkenswertes Ergebnis: Eine vollständige Dekarbonisierung der Wasserstoffproduktion wäre jedoch extrem teuer. Die Forscher haben weitergerechnet. Die letzten 5 % der Dekarbonisierung würden die Kosten nahezu verdoppeln. Sansavini warnt, dass übertriebene Ambitionen kontraproduktiv sein könnten, da sie die Energiewende durch zu hohe Kosten bremsen könnten. Stattdessen sollte man sich auf pragmatische und wirtschaftlich sinnvolle Lösungen konzentrieren.

Das wäre doch schön. Mit der Hälfte der Kosten 95 des Problems bereinigen. Zurückgerechnet auf die Ammoniakproduktion wären das rund 170 Millionen Ammoniak, die unter dieser Prämisse hergestellt werden könnten. Die ersparten Kosten könnten dann anderswo investiert werden. Zum Beispiel in Produktionsstätten für grünen Wasserstoff. Dann funktioniert alles noch besser. Oder für Folgeprodukte. „Jede Biene sticht“, sagt mein Kollege im Büro immer. Der britische Handelskonzern Tesco wirbt mit dem Spruch „Every little helps“

Eine Aufgabe zum Nachdenken. Wieviel mehr könnte geleistet werden, wenn man eben da wo es sinnvoll ist, einen Stopp macht. 95 % statt 100. Wir hatten auch schon 70 statt hundert. Wie auch immer. Es geht um das Klimaziel 2045. Wenn man sich an die Thesen der Forscher aus der Schweiz hält, ist weniger halt eben mehr. Denken Sie mal darüber nach.

Wenn Sie Zeit haben, noch eine kleine Nachricht aus der Schweiz. Forschung an synthetischen Kraftstoffen geht viel zu langsam und am Ende wird alles teurer. Nachdem wir in der letzten Woche über das Projekt der Synhellion aus der Schweiz gesprochen hatten, sprechen wir in dieser Woche über die Empa – das interdisziplinäre Forschungsinstitut für Materialwissenschaften und Technologie der Eidgenössischen Hochschule Zürich ETH . Dort berichtet man in einer aktuellen Veröffentlichung über Fortschritte bei der E-Fuel-Forschung. An der Empa haben sie ein System entwickelt, mit dem sich Katalysatoren, Elektroden und Reaktionsbedingungen für die Elektrolyse von Kohlendioxid bis zu zehnmal schneller erforschen lassen. Dadurch kommt man schneller zu den richtigen Ergebnissen. Warum das notwendig ist? Zitat aus der Aussendung: „Bei der Elektrolyse von CO₂ entsteht nicht bloss der Treibstoff, der vorher verbrannt wurde. Vielmehr können sich über 20 verschiedene Produkte gleichzeitig bilden, die sich nur schwer voneinander trennen lassen. Die Zusammensetzung dieser Produkte lässt sich auf diverse Arten steuern, etwa durch die Reaktionsbedingungen, durch den benutzten Katalysator sowie durch die Mikrostruktur der Elektroden. Die Anzahl möglicher Kombinationen ist enorm.“ Auch die Auswertung wird durch Gestellung einer besseren Auswertungssoftware schneller.

Wer sich über Einzelheiten informieren möchte, der sei auf die Aussendung der Forscher verwiesen. Und noch eines. Sie stellen die Daten anderen Forschern aus der Schweiz kostenfrei zur Verfügung.

Jetzt müsste auch die Politik diesem Beispiel folgen. Mindestens was das Tempo anbetrifft. Alles eben eine Zeitfrage.

 


In diesem Sinne, ein schönes Wochenende!


Stephan Zieger

 

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