Ziegers Zeilen (KW 26)
Nachtreten erlaubt? Vor ein paar Wochen haben wir an dieser Stelle über die erste Charge E-Fuels aus der Produktion von Chemieanlagenbau Chemnitz (CAC) in Freiberg beziehungsweise von der TU Berguniversität Freiberg berichtet. Volker Wissing, der Bundesverkehrsminister, und Michael Kretschmer, der sächsische Ministerpräsident, waren bei der Übergabe der 15.000 Liter dabei.
Einen Steinwurf weiter tritt jetzt ein anderer Gelehrter auf den Plan. Professor Udo Becker forscht an der TU Dresden zur Mobilität von Morgen. Und er vertritt in der Sächsischen Zeitung die These: „Wer beim Klimaschutz auf E-Fuels setzt, gaukelt uns etwas vor.“
Aus dem Gelesenen kommen wir nicht zu dem Schluss, dass er den Hörer in die Hand genommen hat und sich bei seinen Freiberger Kollegen informiert hat. Vielleicht wäre das nützlich gewesen. Für den hier erschienenen Beitrag ist es jedenfalls zu spät. Becker reiht alle bekannten Thesen gegen die E-Fuels auf und bekräftigt sie. Seine These ist, dass, immer wenn etwas nur Vorteile hat, dann müsse man genauer hinschauen. Und das will er tun.
Er hätte zum Beispiel damit anfangen können, dass die Freiberger Kollegen ihn nicht überzeugt haben. Ein paar Argumente hin und her. Wissenschaftlicher Austausch sozusagen. Ich war beim Besuch in Freiberg jetzt nicht ortskundig, aber man fährt weniger als eine Stunde von Freiberg nach Dresden beziehungsweise umgekehrt. Gut, es gibt da eine große Baustelle auf der A4, aber dann hätte man sich anders austauschen können.
Professor Becker hängt an den altbekannten Vorurteilen. Ja, die Anlage steht in Deutschland. Aber bei seinem Kollegen hätte er hören können, dass man über einen Standort in Nordafrika für eine große Anlage schon längst im Gespräch ist. Becker verkennt nicht, dass es möglich ist, im Ausland effizienter zu produzieren. Aber, wenn man mit dem Ausland redet, dann könne man in neue Abhängigkeiten verfallen. Die Ukraine zeigt es, so seine These. Jetzt weiß ich nicht, wie das mit den seltenen Erden, Kobalt, Windrädern oder ähnlichem ist. So wie Professor Becker es beschreibt, scheinen dort geringere Abhängigkeiten zu bestehen. Jedenfalls scheint er im Bezug auf die Elektromobilität weniger Sorgen zu haben.
Nur so zur Erinnerung: Wir wollen und müssen bis spätestens 2045 absolut klimaneutral sein, also dann ist Schluss mit Benzin und Diesel. Das ist seine nächste These. Was weiß Professor Becker besser als wir? Darf man dann schon alle anderen Lösungen ausschließen? Er ist Forscher, er müsste es besser wissen. Täglich werden neue Lösungen gefunden. Egal wo. Und je breiter eine Gesellschaft forscht, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, eine oder mehrere gangbare Wege zu finden. E-Fuels und E-Mobilität sind Wege, aber sie sind immer noch steinig.
Eine seiner Thesen: E-Fuels sind zu teuer. Da hätte er jetzt wirklich mal seine Freiberger Kollegen fragen können. Oder die Kollegen, die mit Porsche zusammen das Projekt in Chile betreiben. Oder, oder … Die Antworten wären für ihn überraschend gewesen. Und dass Strom immer preiswert sein wird, auch dass wissen wir spätestens seit letztem Jahr besser.
„Den deutschen Steuerzahler aber kostet jeder dort (in Freiberg) erzeugte Liter E-Fuel etwa 34 Euro Zuschuss“, so eine andere These. Jetzt könnte man im Hinblick auf den im Verkehr eingesetzten Strom ganz andere Thesen aufstellen. Machen wir aber nicht. Selbstverständlich ist ein Produkt am Anfang teuer. Warum brauchen für den Straßenverkehr hergestellte Stromer staatliche Zuschüsse, sogenannte Kaufprämien, damit sie gekauft werden? Mehr sagen wir jetzt nicht.
Becker stellt auch die großen gesellschaftlichen Fragen. Das ist schön. So lässt er sich zitieren: „E-Fuels sind eine tolle technische Variante und sie müssen unbedingt weiter erforscht werden. Aber sie dürfen nicht als Argument vorgeschoben werden, um heute keinen Klimaschutz betreiben zu müssen. (…) (Das Argument,) „In ein paar Jahren wird ganz viel E-Fuel billig verfügbar sein, wir müssen uns keine Sorgen machen, wartet ruhig ab!“ dürfe nicht sein. (…) Damit verhindern sie alle Schritte zur Energieeinsparung, die wir heute gehen könnten.“ Das klingt staatstragend. In Wahrheit ist es aber nur ganz billige Polemik. Mehr nicht. Und sie diskriminiert diejenigen, die nach alternativen Lösungen forschen, und auch die, die möglicherweise außerhalb von F-Fuels und E-Mobilität forschen.
Und Sie merken, dass ich angesichts der Nähe zwischen Dresden und Freiberg schon ein bisschen verärgert bin. Deswegen ein Satz, den ich vergangene Woche auf einem Vortrag eines österreichischen Wissenschaftlers gehört habe: „Jeder produzierte Liter E-Fuels entlastet das System!“ Das ist jetzt nicht wissenschaftlich. Aber Kaufleute können so eine Rechnung schon verstehen. Und zurück zur Ausgangsfrage: Im Fußball gibt es für Nachtreten mindestens die gelbe Karte.
Ihr Stephan Zieger